BR-Information vom 24. November 1999

Es geht nicht um Kosmetik

Kerngedanken von Bernd Köhler, Betriehsratsvorsitzender

Wir haben in den vergangenen sechs Wochen erlebt, wie Kapitalismus wirklich funktioniert, wenn seine Vertreter das Wort ,,sozial" bei sozialer Marktwirtschaft oder bei Sozialdemokratischer Partei streichen.

Vom Treffen mit der Schatzmeisterin der SPD, Frau Wettig-Danielmeier, haben wir schon berich tet. In einem weiteren Gespräch mit unserer Ge schäftsführung, die plötzlich doch den zweiten Teil unseres Fragenkataloges beantworten wollte, erfuhren wir Neuigkeiten. Es gibt nicht nur den Gesellschafterbeschluss vom 16.6. 19g9, in dem noch ,,konsensuale" Gespräche mit dem Be triebsrat gefordert werden. Dr. Frank erwähnte nun einen Geselischafferbeschluss vom Frühherbst, in dem es heißt, dass alle Lokalredaktionen und Treffpunkte ausgegliedert werden sollen und die jetzige Phase mit drei neuen eigenständi gen Gesellschaften ist. Wörtlich heißt es in dem Beschluss: ,,Der Geschäftsführer ist gehalten, den Konflikt mit dem Betriebsrat sö gering wie möglich zu halten." Wer hier die Wahrheit sagt, können langsam wirklich nur noch Ermittler herausfinden.

Wie die Geschäftsführung bereits jetzt mit allen Mitteln versucht, sich Vorteile auf Kosten der Mitarbeiter zu verschaffen, zeigen einige gegenwärtige Beispiele:

- Leitende Redakteure haben sich von den Un terschriftenlisten Ablichtungen hergestellt.
- Ein Betriebsratsmitglied darf, obwohl es ge plant war, seine berufliche Tätigkeit nicht mehr in den Kreisen ausüben, damit keine andere Meinung Fuß fassen kann.
- Billigere Arbeitsplätze sind das wirkliche Ziel, wenn von sicheren Arbeitsplätzen gesprochen wird. Als Richtwert nennen Führungskräfte 3.000 Mark und weniger für Redakteure.
- Wer die Möglichkeit hätte, aufgrund seines Al ters vorzeitig aus dem Unternehmen auszu scheiden, bekommt Abfindungs-Angebote zwi schen 15.000 und 30.000 Markt, obwohl ihm laut Sozialplan an die 100.000 Mark zustünden.

Die Geschäftsführung sagt, die Ausgliederung diene der Sicherung der Arbeitsplätze. Was davon zu halten ist, machen aktuelle Informa tionen aus der Praxis deutlich:

Herr Michalk, für Bautzen/Bischofswerda vor gesehener Geschäftsführer, hat mitgeteilt, dass er künftig Anzeigen in anderen Firmen herstel len lassen will.

- In Bautzen denkt die vorgesehene Geschäfts führung bereits jetzt laut darüber nach, ob überhaupt noch zwei Sekretärinnen in der Re daktion gebraucht werden.
- Leitende Redakteure begrüßen es lauthals, dass man in Zukunft ältere, aber auch öfters kranke kollegen schneller und einfacher los werden kann. Herr Schwaab, leitender Redakteur in Freital, ist begeistert, dass er endlich den ,,sozialen Balsam" los wird, weil er dann besser leiten könne.
- Die Dienstlelstungsverträge räumen den GmbHs die Möglichkeit ein, eigene Vertriebswege zu erschließen. Es werden also auch be reits vorhandene Dritte gefährdet, nämlich die Medienvertriebsgesellschaften.
- Überstunden brauche man dann auch nicht mehr bezahlen, sie seien im Gehalt inbegriffen, und Sonntagsantrittsgeld sei dann weniger da
- diese Auffassungen von Chefs schilderte auf der Versammlung erregt Gerd Fügert, Fotograf in Bautzen. Er erlitt nach der Versammlung ei nen Herzanfall und musste ins krankenhaus. Inzwischen geht es ihm wieder besser. Alles Gute, Gerd!
- Bei steigenden kosten wird außerdem mit der sofortigen Schließung der Dresdner und Chem nitzer Morgenpost gedroht.

Nach alldem sei gesagt: Die neuen GmbHs sol len schrankenlos kaoitalistisch sein! Und die Aus gliederung bedroht~e Sicherheit ausnahmslös aller kolleginnen und kollegen im Unternehmen und darüber hinaus.

Kerngedanken von Dr. Mario Frank, Geschäffsführer

Seit sechs Wochen sei der Betriebsrat nicht bereit, mit der Geschäftsführung konstruktiv über die Aus gliederung zu sprechen. Der Betriebsrat habe nichts unternommen, um die Interessen der Be schäftigten zu vertreten. (Die Empörung im Saal daraufhin zeigte, dass die Beschäftigten sehr wohl verstanden haben, wer wessen Interessen vertritt.)

Durch Anzeigenverluste, so Dr. Frank, und durch Internet-Bedrohung sei die SZ in drei bis fünf Jah ren handlungsunfähig, wenn nicht rechtzeitig ge gengesteuert werde. Was einem Unternehmen geschehe, wenn eine Geschäftsführung nicht rechtzeitig und richtig reagiere, zeige das Beispiel Holzmann.

Dem wurde aus der Versammlung heraus entge gengehalten: Holzmann ist nicht an unfähigen, sondern an kriminellen Managern zugrunde ge gangen, und nicht im Bau-, also im kemgeschätt, sondern in davon losgelösten Finanztransaktio nen. Der Betriebsrat fügt dem hinzu: Anders alt bei Holzmann droht im DD+V die Gefahr nich:

aus einem Verspekulieren auf einem finanzieller Nebenschauplatz. Viel mehr - und viel schlimmer - beginnt der Großverlag Gruner + Jahr mit dei Geschäftsführung im Schlepptau, das kemge schäft, das lokale Herz einer großen und gutge henden Regionalzeitung zu zerstören.

Dr. Frank sagte, eine Verlageru~g von Anzeigen. produktion aus dem Haus der Presse in Fremdbe triebe ließen die Verträge nicht zu. ,,Das ist mit mii nicht zu machen." Dazu meint der Betriebsrat: Einerseits sagt Dr. Frank, der DD+V habe keinerle Einfluss auf die neuen Betriebe, und schon reir rechtlich könne der DD+V einem selbständiger

Dritten nichts vorschreiben. Mit dieser Begrün dung wird unter anderem die Ausweitung des Haustarifvertrages und der Betriebsvereinbarun gen auf die neuen GmbHs verweigert. Andererseitserklärt Dr. Frank ständig, was der DD+V den neuen GmbHs alles vorschreiben oder ver bieten kann. Was denn nun? Und was mit Dr. Frank nicht zu machen ist, geht dann ja viel leicht mit seinem Nachfolger?

Wo der Mut herkommt

Trotz der großen Erpressung durch die Geschäfts führung und trotz vieler Ängste haben rund 200 kolleginnen und kollegen mit einem gewerk schaftlichen Warnstreik nach Abschluss der Be triebsversammlung bekräftigt: So lassen wir nicht mit uns umspringen! Diesen Mut konnte auch Vor stand Dr. kundrun aus Hamburg nicht bremsen, der während der Betriebsversammlung stumm ne ben Dr. Frank saß. Nach dem Warnstreik haben mehrere kollegen gesagt: Sie wären auch mitge gangen, wenn sie davon gewusst hätten.

Wer nicht in die neuen GmbHs will, muss dem widersprechen. Jeder Einzelne für sich allein. Mit al len Folgen - von der Geschäftsführung ange drohte kündigung und anschließender Kündigungsschutz-Prozess. Es herrscht lndividualrecht

- diese wahnsinnig hohe Hürde hat der Rechtsstaat vor den Arbeitnehmern aufgeschichtet. Deshalb ist die ,,Testphase" mit sechs Lokal- redaktionen und Treffpunkten nichts weiter als teile und herrsche.

Der Betriebsrat des Verlages Gruner +Jahr Hamburg schreibt in seiner Solidaritätsadresse an uns: ,,Gegen die Erpressung der Geschäftslei tung hilft nur der gemeinsame Widerstand aller kolleginnen und kollegen. Wir hoffen, dass sich möglichst alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Maßnahmen beteiligen, die Herrn Dr. Frank und Herrn Dr. Kundrun klarmachen, dass ihr so nicht mit euch umspringen lasst. Wir sind nur gemeinsam stark."

Liebe Kolleginnen und Kollegen, steht den jetzt betroflenen Kolleginnen und Kollegen bei, wenn sie nicht stark genug sein sollten zum persönlichen Widerstand. Seid solidarisch. Helft ihnen, dann helft Ihr Euch, denn jeder kann der nächste sein. Es geht nicht um kosmetische Operationen. Es geht darum, das Gesamtkonzept der Ham burger und Dresdner Manager zur Ausgliederung zu zerschlagen.