BR-Informationen vom 22. Oktober 1999

1. Ausgliederung und Gewinn

Der DD+V hat im Geschjahrjahr 1996/1999 einen Gewinn von ca. 24 Millionen Mark gemacht. Der DD+V gehört zum Verlag Gruner+ Jahr. G+J hat im Geschäftjahr 1999 einen Gewinn von ca. 618 Millionen Mark erreicht - das zweitbeste Ergebnis seiner Geschichte. In dieser Situation vollzieht sich nun der Beginn einer Ausgliederung in großem Stil.

Die Berliner Zeitung fuhr im Geschäftsjahr 1996/1999 Millionenverluste ein. Trotzdem fließt dorthin Geld in einem Masse, dass man hier in Dresden nur vor Neid erblassen kann. Es sei G+J unbenornmon, in der Hauptstadt Berlin Imagepflege zu betreiben. Schadet es aber Hamburg, wenn es solchen Ehrgeiz auch in Dresden an den Tag legt, einmal bei einer Zeitung, die ordentlien Geld erwirtschaftet? Warum muss ausgerechnet in Dresden mit Brachialgewalt gespart worden?

Dem Betriebsrat ist nichts an einer Schwächung der Berliner Zeitung gelegen. Dem Betriebsrat schwebt vielmehr ein Verleger vor, der diesen Namen auch verdient und der mit einer gutgemachten Tageszeitung ein wichtiges Mediensegment bedient. Schmerzlich jedoch müssen wir in diesen Tagen erfahren: G+J hat wohl nicht einmal mehr einen Rest von verlegerischer Ehre. Einzig und allein Geld regiert die Welt, auch die in Hamburg. Das ganze Latein des Vorstands ist darauf geschrumpft, Gewinn durch Kostenreduzierung herauszupreseen. Unter diesem Druck sieht die hiesige Geschäftsleitung oftenber keinen anderen Ausweg mehr, als auszugliedern.

Keine wirklich neue verlegerische Idee bereichen das Sparprqekt. Die ,,neuen" Geschaftsfelder, die die GmbH-Geschaftsführer erschließeen sollen, sind Augenwischerei: Amtsblätter, Unternehmenszeitungen, Stadtpläne, Sonderbeilagen. Einer der künftigen leitenden Redakakteure sprach gar von betrachtlichen Möglichkeiten durch Papiersparen und Lichtausschalten. Keiner der neuen Geschäftsführer konnte so richtig sagen, warum solche Vorhaben nicht schon lange verwirklicht worden sind.

Alle DIekussionen führen im Grunde nur zu zwei Kernaussagen:. Erstens war der Verlag wohl bisher nicht in der Lage, seinen Fühningskräften vor Ort die Kompetenz zuzuweisen, die sie für eigenständige Entscheidungen brauchen. Das ist das Problem der Geschäftsleitung, die sich ihrer Unbeweglichkeit nun auf Kosten der Mitarbeiter entledigen sucht. Zweitens lautete eine Standardaussage, diese neuen Aufgaben seien zu unseren Kosten nicht zu packen. Gemeint sind in jedem Falle Personalkosten. Im Klartext: Billige Arbeitskräfte werden gebraucht. damit G+J im nächsten Geschäftsjahr vielleicht das bisher beste Ergennis seiner Geschichte einfahren kann, Dresden soll bluten, damit Hamburg den Hals voll genug kriegt.

Wie schön klingt doch immer, was Vorstand da im Laufe der Zeit so von sich gibt. Aber es ist nicht einmal das Papier wert, auf dem es steht. Als hätte es dazu noch eines letzten Beweises bedurft, kam die Nachricht vom Verkauf der Hamburger Morgenpost zum 30. 10.1999 (Auszug aus der dpa-Meldung vom 20.10.99)

2. Ausgliederung und Kerngeschäft

Die Lokalredaktionen und Regionlverlage sind das Wichtigste der SZ - oft gesagt auch von der Geschaftsführung. Warum soll das Herz der SZ ausgerissen werden?, fragte eine besorgte Kollegin auf der Betriebsversammlurg. Das ist auch die Hauptsorge des Betriebsrates. Denn wer an langfristig sichere Arbeitsplätze denkt, muss auch an eine langfristig gute SZ denken.

Die Medlenzeitschrltt ,.W&V' vom 15. Okt g ber 1999 schreibt dazu:

Doch die Wirtschaftswissenschaft warnt vor voreiligen Sparstrategien. VWL-Professor Michael Reiß von der Universität Stuttgart:
"Man sollte sich nicht nur von der Kostenseite her verleiten lassen.  Denn", so der Expete für Organisatiorisgestaltung, das Kerngeschäft müsse unbedingt im Unternehmen bleiben, sonst werde die Kernkonpetenz gefährdet und man könne sich sofort vom Markt verabschieden. Reiß: "Nur standardi sierte Arbeitsvorgänge gehören nach draußen, sonst wird die Qualität des Produkts in Mitleidenschaft  gezogen. Die Kernkompetenz einer Zeitung liegt in der Redaktion. Wenn das redaktionelle Profil verloten geht, wandern die Leser ab. Journalistischer Output sei eben kein  standardisierter Arbeitsvorgang", so Professor Reiß. Zwar profilierten sich die Boulevardzeitungen vor allem mit lokaler, und regionaler Berichterstattung, aber die Kompetenz in allen anderen Ressorts könne sich bitter rächen. Reiß: "Verspieltes Wissen lässt sich eben nur schwer wieder erwerben."

So listet auch der Deutsche Journalistenverband DJV den "Kompetenzverlust" in der langen Reihe der Nachteile des Outsourcing's im Medienbetrieb auf. Daaneben stehen beispielsweise Informationsdefizite, Kommunikations- und  Motivationsprobleme mit dem Personal und deshalb auch langfristig Kosten steigerung. DJV'-Juatiziar Benno Pöppelmann; " Zwangsläufig wird die Qualität des Produkts gesenkt. Die Tarifflucht der Verlage verschlechtert die berufliche Situation der Journalisten. Sozial-Dumping ist die Folge."

Zur lllustration dazu noch ein Satz, der einem künftig leitenden Redakteur auf einer der Anteilungsversammlungen entwich: "Ich kann doch auch viel besser arbeiten, wenn ich den ganzen sozialen Balsam vom Halse habe."

3. Ausgliederung und Tarifflucht

Ausgliederung ist Taniflucht. Das weiß der Betriebsrat. Das wissen die Gewerkschaften. Das meinen auch die Poiwsker, für die die sozlale Marktwirtschaft noch nicht zur erbärmlichen Floskel ver kommen ist. Dass in den künftigen Gmbl-s Tarif. nicht reenr eingehalten werden, wird von der Geschaftafflhrung und den neuen GmbHs hefs fast frnudvoll dargestellt. Denn es wird die Hauptquelle des Sparens sein.

,,Endlich fallen die automatischnen Tariferhöhungen weg.', heißt es. Wieso automatisch? Diese wie das gesarnta Tarilsystern sind Er gebnis harter Verhandlungen zwischen Ar beitgebern und Gewerkschaften. Dafür sind Kolleginnen und Kollegen auf die Straße ge gangen. wir bisher nicht. Für uns war es quasi autornatisch. Wenn wir uns jetzt nicht ruhren, war es das - autornatischt

Die Geschäftsführung wirft vor allem Redakteuren ,,exorbitante" Gehalter vor. Diesen Gehaltern (Von den exorbitanten Bezügen der Geschäftsleitungen und Vorstände ganz abgesehen) stehen schließlich eben solche Gewinne gegenüber. Was also sollen Bemerkungen von ,,exorbitanten" Gehältner? Sie sollen vom Gewinn ablenken. Sie sollen die Belegschaft spalten.

4. Ausgliederung und PoIitik

Ausgegliedert wird derzeit nicht nur in Dresden. Es geht am einen äußerst massiven Angriff auf das, was Arbeitnehmer in den letzten Jahrzehnten erstritten haben, vor allem auf den Flächentarif. Das Pikante bei der SZ nun ist, dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands 40 Prozent Anteile an DD+V hält. Gehört also ein ,SPD-Betrieb zu den Vorreitern neim Angriff auf die Arbeitnehmer?

Der Betriebsrat hat am 5. Oktober 1999 an den Parteivorstand der SPD geschrieben. Wir wollen wissen, ob die Aussage unseres Geschäftsführung richtig ist: Die SPD habe als Mitgesellschafter der Ausgliederung zugestimmt. Bis heute hat SPD nicht gezuckt. In dieser Woche wurde die SPD - konkret Frau Wettig-Danielmeier (Schatzmeisterin der SPD und zuständig für den DD+V) - vom Hauptvorstand der IG Medien und vom sächsschen DGG-Chef, Hanjo Luccasen aufgefordert, endlich zu reagieren. Lucassen hat sie auch gebeten, an der Versammlung der DD+V-Mitarbeiter am 30.0ktober 1999 teilzunehmen. Die Frage. wie sich die SPD verhalten wird, ist spannend: Steht diese Partei auch in konkreten Situationen, wenn es hart auf hart kommt ist sie schon derart in der Mitte an gekommenen, dass auch für sie nur das Geld zahlt?

5. Ausgliederung und Information

Die Geschaftsführung wirft dem Betriebsrat vor, er vergifte die Atmosphäre durch Stimmungemache mit falschen Behauptungen. Sie fordert den Betriebsrat süffisant sogar dazu auf, eigene Konzepte vorzulegen, wenn er es denn besser könne. Erstens gibt die Geschäftsführung dem Betriebsrat in keinem Fall die Informationen und Zahlen in die Hand, die er dafür brauchte. Zweitens können und wollen die Betiebsratsmitglieder aber keine Geschäftstührer werden, und die Gesetze schreiben dem Betriebsrat auch nicht die Leitung des Unternehmens zu. Sie fordern aber eine vertrauenavolle Zusamrnerarbei zwischen Betriebsrat und Unternehrnensleitung. und dazu gehort eine umfassende Information. Die Vergangenheit hat gezeigt: Werden der Betriebsrat und damit die Arbeitnehmer wirklich als Partner akzeptiert, lässt sich für das Wohl des Unternehmens und seiner Mitarbeiter jede Menge herausholen.

Über den konkreten Plan der Ausgliederung informierte die Geschäftsfhhrung den  Betriebsrat 90 Minuten vor der Mitarbeiterversammlung, die sie am 4. Oktober 1999 einberufen hatte. Die erste Zusammenkunft mit der Geschäftführung, auf welcher der Betrieberat konkrete Fragen stellen konnte, fand am 15. Oktober 1999 statt. In der Zeit zwischen 4. und 15. Oktober entfalteten Geschäftsführung und Chefredaktion eine beeindruckende Reisetätigkeit in die Treffpunkte und Lokalredaktionen, welche ausgegliedert werden sollen. Und in weiteree, die offenbar folgen werden. Betriebsratsmitglieder besuchten daraufhin ebenfalls die betroffenen Aussenstellen. Aber halt ohne konkretes Wissen um die Vorhaben der Geschäftsführung, allerdings mit Erfahrungen. wie sich die Geschäftsführung in vergleichbaren Fällen verhielt. Ungleiche Waffen also schon da.

Geschäftsführung und Chefredaktion unter halten ein Heer von Leuten, die nichts weiter rnachen als Konzepte, Strategien, Führung halt. Weil der DD+V über 700 Mitarbeiter hat, darf der Betrlebsrat zwei Betriebsräte freistellen. Alle anderen haben ihrer Arbeit wie jeder von euch nachzugehen. Deshalb bat der Betriebsrat, für die Zeit der Ausgliederung ein weiteres Mitglied freizustellen. damit er sich mit den umfassenden ..... , lehnte die Geschführung ab. Ungleiche Waffen also auch weiterhin.

Am 15. Oktoner 1999 bat der Betriebsrat die Geschäftsführung um Einsicht in die Vertrage mit den neuen GmbHs. Vier Tage später, am Dienstag, dem 19. Oktober 1999,  wurde Bernd Köhler und Elke Schanz unter Aufsicht Einsicht in die Verträge gewehrt, vorgelegt wurden nur die beiden Dienstleistungsverträge der Freitaler Redaktions- und Verlagsgesellschaft, die festschreiben, was sie einerseits und was der DD+V andererseits zu leisten haben. Die Verträge wurden ohne Anlagen vorgelegt, so dass nur Rätselraten  bleibt, wenn es heißt: Näheres regelt die Anlage X. Alle anderen Vertrage bleiben Geheimnis der Führungen des Hauses und der neuen GmbHs.

Ohne umfassende Informtionen geht der Betriebsrat also an die weitere Vertretung eurer Interessen als Arbeitnehmer. Zwei gravierende Dinge allerdings dem Betriebsrat deutlich geworden: Die Verträge binden die neuen GmbHs in einem derartigen Maße an den DD+V dass von freiem Unternemertum keine Rede sein kann. Und was die von manchen erhofften goldnen Berge betrifft, so hat die Geschäftührung dem Betriebsrat zu verstehen gegeben: Sollten die Gewinne der neuen GmbHs zu stark steigen, wird der DD+V Mittel und Wege finden, diese Gewinne ordentlich abzuschöpfen.

Alles in allem: Der Betriebrat ist gegen die Ausgliederung, weil sie der Sächsischen Zeitung und damit dem DD+V schadet.