Arbeitgeber zeigen den Dickschädel
Gewerkschaften legten Acht-Punkte-Programm vor / Gegenseite zeigt keine Bereitschaft zum Einlenken

Mit dem Entwurf eines Acht-Punkte-Programms sind die Gewerkschaften am Mittwoch in die weiteren
Verhandlungen eingetreten. Akzep-tierend, dass DD+V sowie G+J offenbar nicht bereit sind, auf die
Ausgliederungen zu verzichten, schlugen sie Folgendes vor:
 

1. DD+V und ausgegliederte Gesellschaften schließen gemeinsam einen Tarifvertrag, der Sicherheiten für die jetzigen wie die künftigen Mitarbeiter einschließt. Dies lehnte die Geschäftsführung ab.

2. Grundlage dieses Tarifvertrages ist der jetzt bestehende Haustarifvertrag. Auch das wurde abgelehnt.

3. DD+V sichert zu, dass es in Zukunft keine betriebsbedingten Kündigungen in den neuen Gesell-schaften gibt. Das wurde abgelehnt. Eventuell könnten betriebsbedingte Kündigungen für eine gewisse Zeit ausgesetzt werden, erklärte die Geschäftsführung.

4. DD+V und neue Gesellschaften werden auch künftig als einheitlicher Betrieb betrachtet. Das schließt die volle Zuständigkeit des Betriebsrates für alle Mitarbeiter und die Gültigkeit der  Betriebsvereinbarungen ein. Das wurde abgelehnt.

5. Zukunftsklausel; sie besagt, dass diese Festlegungen auch für weitere Ausgliederungen oder für Ausgliederungen aus Ausgliederungen gelten.

6. Sicherung der redaktionellen Unabhängigkeit. Hier signalisierte die Geschäftsführung Bereitschaft, eventuell über einen Kodex für die redaktionelle Arbeit zu verhandeln.

7./8. Maßregelungsverbot, das regelt, dass arbeitsrechtliche Restriktionen gegen Streikende unterbleiben. Hier machte die Geschäftsführung Vorbehalte geltend dergestalt, dass geschäftsschädigendes Verhalten einzelner Streikender nicht darunter fallen dürfe.


Die Geschäftsführung erklärte, die Gewerkschaften hätten sich in keiner Weise bewegt; all das sei Schnee von gestern. Sie versuchte, die Ebene der Verhandlungen zu senken, indem sie Gespräche zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat vorschlug. Dieses Gespräch lehnte der Betriebsrat mit dem Votum der Streikversammlung ab. Die Streikenden wollen rechtsverbindliche Regelungen. Diese Rechtssicherheit bieten nur Tarifverträge; diese kann der Betriebsrat nicht abschließen.
Den Wunsch nach einer außerordentlichen Betriebsversammlung des Betriebsrates mit den arbeiten-den Kollegen lehnte Dr. Frank ab.

Am Freitag hatte Dr. Frank noch erklärt: Alles unterhalb einer Aus-gliederung ist möglich. Diese Position gilt offenbar nicht mehr. Die Streik-versammlung bekräftigte nach dieser Information ihre Entschlossenheit zur Fortsetzung des  Arbeitskampfes.
 

Parteitag: SPD rudert zurück

Als der IG-Medien-Vorsitzende Detlef Hensche aufs Podium des SPD-Parteitages gebeten wurde, kam er nicht allein. Quasi als Überraschungscoup schritten 22 Streikende von der Gäste-Tribüne nach vorn. Mit ihren Streikwesten und dem Spruchband illustrierten sie die Wor-te des Gewerkschafters, der sein Rederecht auf der Grundsatzdebatte des Berliner SPD-Bundesparteitages ausschließlich dazu nutzte, den Kampf der Streikenden gegen die Auslagerung der SZ-Lokal-redaktionen zu erläutern. Das war das Signal für die Genos-sen, nun offiziell zurückzurudern.

Eine Aufgabe, die der frischgebackene SPD-Generalsekretär Franz Müntefering gleich nach Hensches Beitrag erledigte. Müntefering stellte klar, die Partei werde niemals hinnehmen, dass durch solche Gesellschaftskonstruktionen Beschäftigte aus der Tarifbindung herausfallen.

Wohlwollender Beifall der Delegierten zur Aktion der Streikenden und des Gewerkschafters auf der einen, irritierte Gesichter der Parteiprominenz auf der anderen Seite. Gerhard von hinten und seine Doris von vorn zogen während der zehnminütigen Aktion bemüht gleichgültige Gesich-ter. Die mit Streikwesten ausgestat-tete SZ-Delegation hatte zuvor schon die Saalordner überrumpelt, die eine solche Aktion im Herzen des Parteitages offensichtlich nicht erwartet hatten. - Vor allem Kame-raleute und Fotografen dagegen freuten sich über den unerwarteten Motivwechsel und richteteten ihre Objektive auf die Streikenden.

Die unrühmliche Rolle, die die SPD-eigene DDVG in der Frage der Aus-lagerungen gespielt hatte, war der Mehrzahl der Delegierten offensicht-lich nicht klar gewesen. Als Hensche dies nach einführenden Worten über die SZ und den Streik anprangerte, ging ein Raunen durch den Saal -einzelne
lachten. Denn "Schweine-reien" gegenüber eigenen Arbeitneh-mern hatte sich die SPD auch in den
vergangenen Jahren schon geleistet.

Hinweis für Geschäftsführung und Chefredaktion:

Am Dienstag waren 100 Streikende in Berlin; in der SZ wurden es 80. Um der DD+V-Führung das Umrech-nen der tatsächlichen Zahl der in Berlin Protestierenden auf die der Geschäftsführung genehme Ziffer zu erleichtern, schlagen wir folgenden Umrechnungskurs vor: Tatsächlich sind 22 Streikende mitgefahren.

Abzüglich des DD+V-Abschlags von ca. 20 Prozent könnte in der SZ die Zahl 17 genannt werden.
Neu auf dem SPD-Parteitag: Streikende. Dieses Mal aus Dresden.

Vor Gericht hat der DD+V eine Niederlage erlitten.

Das Arbeitsgericht Dresden wies am Dienstag einen Antrag des DD+V zurück, bestimmte Ziele des Streiks zu untersagn (AZ: 8 Ga 58/99). Damit misslang es, die Streikenden juristisch unter Druck zu setzen.

Der DD+V hatte dem Gericht erklärt, Streikziele seien unter ande-rem die Geltung des Fir-menvertrages in den neuen Gesellschaften, Zuständigkeit des Betriebsrates für die neuen Gesellschaften oder Ein-sicht des Betriebsrates in alle die Ausgliederungen betreffenden Verträge.

Streik für veränderte Arbeits- und Urlaubszeiten betrachtet der DD+V hingegen als erlaubt.
Das Gericht begründete die Ablehnung der einstweiligen Verfügung damit, der DD+V habe
nicht glaubhaft gemacht, dass der Streik enden würde, wenn die vom Unternehmen als rechtswidrig
angesehenen Streikziele entfallen, und dass nicht wegen der anderen Ziele weitergestreikt
würde. Auch "stehe weder fest noch ist es auch nur überwiegend wahrscheinlich",
dass Ertragseinbußen ausblieben, wenn die einstweilige Verfügung erginge.

Das Gericht hat damit akzeptiert, dass der Streik um kürzere Ar-beitszeiten und längeren
Urlaub geführt wird, das Motiv der Streikenden jedoch die Verhinderung der Ausgliederung von
Lokalredaktionen und Treffpunkten ist.

Der DD+V hatte vor Gericht geltend gemacht, der andauernde Streik bringe erhebliche
finanzielle Ausfälle. Ebenfalls am Dienstag  hatte Geschäftsfährer Dr. Mario Frank allerdings
gegenüber der dpa gesagt: "Wir hatten zwei Tage lang Probleme in Lokalredaktionen. Rund
300 Abonnements gin-gen verloren. Alles in allem liegt das im Trend."