An die G+J Führungskräfte vom 13. Dez. 1999

Arbeitskampf bei der SÄCHSISCHEN ZEITUNG

Die wirtschaftliche Lage der großen ostdeutschen Regionalzeitungen, auch der SÄCHSISCHEN  ZEITUNG, ist bestimmt von stagnierenden oder gar sinkenden Erlösen bei steigenden Kosten. Gründe für diese  unbefriedigende Erlössitüation sind eine seit Beginn der 90er Jahre kontinuierlich zurückgehende Auflage und ein stark rückläufiger Anzeigenmarkt. Die Rückgänge beim Vertrieb wie bei den Anzeigen sind auf die schlechte wirtschaftliche Entwicklung und auf einen markanten Bevölkerungsrückgang (minus 5 % seit 1990) zurückzuführen. Hinzu kommt, dass die noch immer hohe Haushaltsabdeckung sich nun schnell dem niedrigeren West-Niveau anpasst.

Die Kostenseite wird dominiert von einem stark steigenden Lohn- und Gehaltsniveau, das eine Ursache auch in einer ost-spezifischenu Regelung der Bemessung der Dauer der Betriebszugehörigkeiten hat. So wird die Betriebszugehörigkeit von Mitarbeitern der SÄCHSISCHEN ZEITUNG von deren ersten Eintritt in das Unternehmen an gerechnet - und. durch die entsprechende tarifliche Eingruppierung bezahlt - und zwar unabhängig von zwischenzeitlichen anderen Tätigkeiten wie etwa der Militärdienstieit oder einem Studium. So gibt es bei der SÄCHSISCHEN ZEITUNG zum Beispiel einen Redakteur, der eine Betriebszugehörigkeit von 36 Jahren bei der SÄCHSISCHEN ZEITUNG besitzt, von der er 25 Jahre im Staatsdienst außerhalb der SÄCHSISCHEN ZEITUNG zugebracht hat. Wer 40 Jahre alt ist, hat häufig über 20 Betriebszugehörigkeitsjahre vorzuweisen. Dies ist der Gru d für die auch im Vergleich zu westdeutschen Zeitungen hohen Personalkos en.
Als Konsequenz fallender Betriebsergebnisse und einer negativen Perspektive für die kommenden Jahre hat die SÄCHSISCHE ZEITUNG ein Arbeitsplatzsicherungskonzept entwickelt. Es soll einen Beitrag zur künftigen Kostendämpfung leisten und gleichzeitig zusätzliche Umsätze auf lokaler Ebene ermöglichen. Und es soll Entlassungen vermeiden, die ohne die Ausgliederungen über kurz oder lang die unvermeidliche Alternative wären.

Das Konzept sieht vor, zunächst sechs der insgesamt 19 Lokalredaktionen aus der DD+V auszugliedern und in drei regionale Verlagsgesellschaften zusammenzufassen. An diesen "Regionalgeselischaften" halten ein journalistischer und ein kaufmännischer Geschäftsführer einen Anteil von jeweils 45 Prozent, mit zehn Prozent bleibt DD+V beteiligt. Ein Dienstleistungsvertrag zwischen DD+V und diesen Gesellschaften regelt den künftigen Bezug journalistischer und kaufmännischer Dienstleistungen sowie die finanzielle Abgeltung.

Von der Ausgliederung, die seit dem 1. Dezember 1999 vollzogen ist, sind derzeit insgesamt 60 Mitarbeiter betroffen. Für sie hat die DD+V bereits frühzeitig klargestellt, dass sie keine materiellen Einbußen befürchten müssen. Von entscheidender Bedeutung ist allerdings, dass die Geltung des DD+V Haustarifvertrags sich nicht auf die neuen Gesellschaften erstreckL Damit soll ausgeschlossen werden, dass die üblichen jährlichen Tariferhöhungen in einer unheilvollen Automatik das Kostenniveau sehr -schnell auf ein nicht mehr tragbares Maß katapultieren. Als Kompensation für die wegfallende jährliche Tariferhöhung ist allen Mitarbeitern der Regionalgesellschaften eine Beteiligung am Gewinn ihrer" Gesellschaft zugesagt

Durch dieses Konzept sollen die Regionalgesellschaften in die Lage versetzt werden, neben den Dienstleistungen für die SÄCHSISCHE ZEITUNG auch andere unternehmerische Aktivitäten zu entwickeln. Erste sehr positive Ansätze sind bereits vorhanden. Generell kann dies jedoch nur gelingen, wenn neben den bereits tätigen Redakteuren mit aus historischen Gründen sehr hohen Bezügen auch Mitarbeiter eingestellt werden können, die zu den in der Region marktgerechten Gehältern arbeiten. Die SPD, die 40 prozentiger Gesellschafter der DD+V ist, hat unserem Konzept der Ausgliederung ohne Abstriche zugestimmt.

Warum bekämpfen die Gewerkschaften das Konzept so erbittert? Ein Konzept, das die Arbeitsplatzsicherheit der betroffenen Mitarbeiter nicht berührt und ihnen ihre sozialen Besitzstände ungeschmälert sichert. Warum rufen IG Medien und DJV zu einem aus unserer Sicht völlig überzogenen und unverhältnismäßigen Streik auf, der seit etwa zwei Wochen läuft und an dem sich derzeit noch etwa 130 der insgesamt rund 670 Mitarbeiter der DD+V beteiligen?

Für die Gewerkschaften steht nicht das Schicksal" von 60 Mitarbeitern im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Vielmehr fürchten sie eine schleichende Erosion des Flächentarifvertrags schlechthin. Sie kämpfen also nicht gegen das eher untergeordnete Problern. Ausgliederung" bei der SÄCHSISCHEN ZEITUNG, sondern für sich selbst. Die DD+V kann demgegenüber auf keinen Fall die Übertragung des Haustarifvertrags akzeptieren.

Die grundsätzliche Bedeutung ihrer Standpunkte für beide Seiten macht eine Einigung schwierig aber nicht unmöglich. Gegenwärtig erscheint die SÄCHSISCHE ZEITUNG im ganzen Verbreitungsgebiet pünktlich und in guter, wenn auch nicht der gewohnten höchsten Qualität. Die Zahl der AboKündigungen hat sich im Laufe der Streikzeit nicht signifikant erhöht. Allerdings ist die zusätzliche Belastung der nicht streikenden Mitarbeiter erheblich. Beide Verhandlungspartner haben sich auf eine faire und möglichst zügige . Verhandlungsführung geeinigt. Die seit Montag vergangener Woche laufenden Gespräche haben zwar durchaus Übereinstimmungen in vielen Detailf ragen ergeben, jedoch das Kernproblem noch nicht gelöst. Am heutigen Montag gehen die Verhandlungen (für die DD+V: Dr. Bernd Kundrun, Dr. Martin Schuster, Dr. Mario Frank) weiter.

Mit freundlichen Grüßen

Ralph Driever